Die erstaunliche Karriere des Hl. Joseph


Das weihnachtliche Geschehen gehörte im Mittelalter und auch in der frühen Neuzeit zu den populärsten Bildmotiven, davon zeugen die diversen Beispiele auch in den Berliner Museen. Ich möchte mich einer Nebenfigur zuwenden, dem Zimmermann Joseph von Nazareth, den wir meist kennen als schlafenden oder melancholisch blickenden Greis, der den Wurm des Zweifels in sich trägt. Das Schlafen soll ein Hinweis auf die Träume sein, in denen Joseph vom Engel die "Regieanweisungen" bekommt und ist ein typologischer Bezug zu Joseph aus dem Alten Testament, der ja auch ein Träumer war und fröhlich seine Träume den Brüdern erzählte, was ihm nicht gerade zum Vorteil gereichte! Manchmal darf Joseph auch eine Kerze halten oder Däumchen drehen, wie auf dem Eingangsbild von Martin Schongauer.

Wie die Evangelisten Matthäus und Lukas berichten, stammt Joseph aus dem Geschlecht Davids und soll so die heilsnotwendige Abstammung Jesu und die Verbindung mit dem Ursprung (Adam bzw. Abraham) garantieren. Doch wie wird diese Abstammung bewiesen? Da hilft das apokryphe Protoevangelium des Jakobus:

8. Als sie (Maria) zwölf Jahre alt wurde, gingen die Priester miteinander zu Rate: «Maria ist jetzt im Tempel des Herrn zwölf Jahre alt geworden. Was sollen wir tun, damit das Heiligtum des Herrn nicht befleckt wird?» […] Da stand plötzlich ein Engel des Herrn vor ihm und sagte: «Zacharias, Zacharias, geh hinaus und rufe alle Witwer des Volkes zusammen. Jeder soll einen Stab tragen, und wem Gott ein Zeichen gibt, der soll sie zur Frau bekommen.» ……

9. Mit Stäben in der Hand gingen sie gemeinsam zum Hohenpriester. Der nahm ihnen die Stäbe ab, ging in den Tempel und sprach ein Gebet darüber. Als er sein Gebet beendet hatte, nahm er die Stäbe wieder auf, ging hinaus und verteilte sie wieder an die Männer. Doch kein Zeichen war an ihnen zu sehen. Joseph erhielt seinen Stab als letzter. Da kam eine Taube aus dem Stab heraus und setzte sich auf Josephs Kopf. Der Priester sagte zu ihm: «Du hast die Jungfrau des Herrn zugeteilt bekommen. Behüte sie gut!»

Das ist natürlich ein typologischer Hinweis auf das Alte Testament, wo Aaron, der Bruder Mose, durch das Ergrünen eines dürren Stabes zum Oberpriester (Levit) erwählt wird aus der Gruppe der 12 Stämme = Abkömmlinge Jakobs.

Bei unserem Joseph geht es nicht um die genetische Vaterschaft, allein die gesetz-liche Vaterschaft, die etwa durch Adoption zustande kommt, verleiht Erbrechte. Daher erbt Jesus von seinem gesetzlichen Vater Joseph, aus dem „Geschlecht Davids“ zu stammen. Auch nach dem Sieg des Christentums haben im nordalpinen Raum die alten Germanenrechte fortgewirkt, so das Recht des Vaters, ein Kind in die Familie aufzunehmen; dazu gehört zwingend der Vollzug, das Kind im Arm zu halten und eine Fürsorgehandlung zu vollbringen, sich also als Nährvater zu zeigen. Joseph als Beschützer Mariens und des Kindes mutiert damit allmählich zum Greis, damit die sexuelle Enthaltsamkeit (Maria bleibt bis zu ihrem Tode Jungfrau!) wahrscheinlicher wird.

Für Künstler sind die Evangelien (Matthäus und Lukas) nur eine unbefriedigende Informationsquelle, da sind die Legenden der apokryphen Evangelien weitaus ergiebiger und beschreiben das Familienleben detailreich und blumig. Im Spätmittelalter (Ende d. 14. Jh. bis Beginn des 16. Jh.) gibt es im westfälischen Bereich und Umkreis einige Künstler, die diese "Fürsorgehandlungen" darstellen: Joseph kocht knieend ein Süppchen

Conrad von Soest 1403,
Die Geburt Christi

oder packt praktisch denkend die Geschenke der heiligen drei Könige ein als Vorrat für die Reise nach Ägypten. Dann wird es ganz altruistisch: Joseph bekommt kalte Füße, weil er aus seinen Strumpfhosen Windeln schneidet!

Apropos Windeln: Alle 7 Jahre kann man die im Aachener Dom im Marienschrein aufbewahrte Windel Jesu (in älteren Publikationen und Darstellungen auch als Botzen des heiligen Joseph= Josefshosen bezeichnet) sehen. Der braune, grobe Wollstoff soll um 445 in Jerusalem erworben und ein Teil davon als Geschenk an Karl den Großen weitergegeben worden sein.

Mit dem Ende des Spätmittelalters verebbt diese Mode der Darstellung des treusorgenden Ernährers und Hausmanns (diese dienenden Tätigkeiten sind einem künftigen Schutzpatron nicht zuzumuten), gleichzeitig beginnt Josephs Aufstieg als Heiliger, gefördert duch das Haus Habsburg: Es erhebt den Grübler im Schatten der Krippe zum Na-mens-, später sogar zum Landespatron (Alle männlichen Monarchen Habsburgs führen ab nun „Joseph“ im Namen). Auf das Betreiben Wiens hin führt die Kirche für Josef endlich einen Festtag ein. In den kriegsgebeutelten Territorien Österreich-Ungarns braucht man diesen Mann, der plötzlich verjüngt mit idealtypisch schönen, jesusgleichen Zügen dargestellt wird. Auf einmal gibt es Bilder, die Josef als Handwerker zeigen, während Maria näht und Jesus die Stube fegt. Szenen beim Mittagessen. Vater und Sohn.

Er wird zur Disziplinierungsfigur für die verrohten Männer nach dem Dreißigjährigen Krieg. Mit diesem Josef führt man ihnen ein vorbildliches Familien- und Arbeitsleben vor.

1479 erklärt Papst Sixtus IV. den 19. März zum offiziellen Festtag des Joseph. 1621 wird der Tag gebotener Feiertag für die gesamte Kirche, 1675 wird Joseph zum Patron des Wiener Hofes befördert und 1870 schließlich erhält er durch Papst Pius IX. den Ritterschlag als Schutzpatron der katholischen Kirche. Doch damit nicht genug: der 1.Mai wird 1955 zum Fest "Hl. Josef der Arbeiter" und soll so den sozialistischen Maifeiertag toppen!

Das letzte Bild zeigt eine Skulptur um 1900 aus Südtirol: Der Heilige Joseph, selbstbewusst in seiner vollen Bedeutung als Träger und Nährvater Jesu.

Tranz Tavella ca 1900,
Hl. Joseph in Atzwang.
Fotograf Wolfgang Maroder

Von dieser erstaunlichen Karriere einer ursprünglich eher unbedeutenden Randfigur in der Bibel zeugen auch die nach dem Ende des Bismarckschen Kulturkampfes in Preussen erbauten katholischen Kirchen: wir haben in Berlin mehrere St.Josephskirchen, meist errichtet in Arbeitergebieten, so z.B. im Wedding. Diese Kirche in der Müllerstraße zeichnet sich übrigens aus durch die sehenswerte Ausstattung im "Beuroner Stil" und ist damit ein Unikat in Deutschland nördlich des Mains.

Dr. Lore Gewehr

(PS: Ich danke Dr. Thomas Blisniewski /Graz für wertvolle Hinweise.)

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